Sie sind Leiter bzw. Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik der Wirtschaftsuniversität Wien. Zudem haben Sie eine Stiftungsprofessur an der Jilin Universität in Changchun, China. Wo befinden Sie sich gerade?
Ehrlicherweise bin ich gerade auf dem Weg von meinem Büro durch den Prater nach Hause und musste noch eine Aufgabe zu Ende bringen. Deswegen gucke ich mir jetzt auf dem Heimweg die Mails an. Nachts gibt es hier ja sowieso nicht so viel zu sehen. Aber eigentlich bin ich schon wieder auf dem Sprung zum Segeln. Morgen früh geht es nach Frankreich wo ich in Les Sable d´Olonne einen 42 Fuß Lagoon Katamaran übernehme und den in die Türkei segle. Deswegen waren die letzten Tage wieder sehr anstrengend. Jetzt bin ich aber froh das ich das Wesentliche geschafft habe und deswegen guten Gewissens nach dieser Episode fahren kann. Für morgen Nachmittag und übermorgen Früh sind auf der Zugfahrt allerdings schon wieder online Meetings angesetzt. Aber die Verbindung von Segeln und Arbeit macht mir deutlich mehr Spaß als nur ausschließlich stationär zu arbeiten oder aber auch nur zu Segeln.
Das klingt anstrengend! Sie leiten also ein universitäres Institut vom Boot aus? Ich habe gelesen, dass Sie Ihre Stelle an der Uni auf 50% reduziert haben und somit die Hälfte Ihrer Zeit auf dem Wasser verbringen und von da aus arbeiten?
Im Grunde genommen hatte ich ja bereits 2018/2019 das Homeoffice vorweggenommen. Mit der Universität hatte ich vereinbart, dass ich nur im Wintersemester lehre aber generell zu 100% arbeite. Aber ein Wechsel der Institutsleitung jedes Semester ist nicht praktikabel und meine Kollegin Tina Wakolbinger leitet das Research Institut Supply Chain Management und war zwischenzeitlich in Karenz. Jetzt im Zuge der Corona Krise mussten ja fast alle Institutsleiter ihre Institute über das Homeoffice führen, da hatte ich gewisse Erfahrungsvorteile. Wenn ich tatsächlich nur 50% arbeiten würde, wäre es sicher nicht anstrengend, sondern Segeln ist ja (für mich) Erholung pur. Vor allem, weil ich ja im Normalfall nicht 67 Tage am Stück alleine an Bord bin, ohne Anlegen zu können. Die Herausforderung ist eher, dass zwar die Lehre zu 50% weg fällt, aber meine Aufgaben und auch die Arbeitslast sind in der Forschung aber auch mit der Führung des Instituts viel umfangreicher und da es meist ohnehin viel mehr Arbeit als Zeit gibt, arbeite ich trotzdem fast so viel wie mit einer 100% Stelle.
Wer führt denn dann Ihre Mitarbeiter, in der Zeit, die Sie auf dem Wasser sind?
Wissenschaftler*innen müssen ja immer sehr gut in der Selbstorganisation sein. Auch unser Sekretariatsteam ist selbstorganisiert und die Führung vom „Boatoffice“ hat ganz gut funktioniert. Auch Unternehmen, die gut aufgestellt sind funktionieren ja oft besser, wenn die Chefs nicht da sind, aber natürlich muss man aufpassen, dass nicht die Mäuse auf den Tischen tanzen, wenn die Katze nicht im Haus ist. Die Herausforderungen waren sicher bei meinen MitarbeiterInnen im Lockdown viel größer als bei mir.
Klingt nach einer super Kombination oder einer guten Work-Sail-Balance wie die Klostermanns es in Ihrem gleichnamigen Buch beschreiben. Trotzdem ein großer Schritt, von einer HomeOffice Regelung in Wien umzusteigen auf das Arbeiten vom Boot im Ausland. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, wie Sie den Entschluss dazu gefasst haben? Was war der Auslöser und wie hat Ihr Arbeitgeber darauf reagiert? Aus meiner eigenen Erfahrung an deutschen Universitäten und gerade Unikliniken weiß ich, dass es selbst in Corona Zeiten extrem schwierig ist im deutschen öffentlichen Dienst eine HomeOffice Regelung durchzusetzen.
Ich hatte diesen Entschluss schon länger gefasst. Denn ich wollte, nachdem meine Kinder ihre Matura (Österreichisches Abitur) gemacht haben gerne eine Weltumseglung in Stücken machen. Insofern konkretisierte es sich über einen längeren Zeitraum. Da langfristig Planung ja für das Institut, die Studierenden aber auch andere Partner*innen wichtig ist, habe ich glaube ich 2015 dem Rektor einen Brief geschrieben und meine Pläne erläutert. Dann wurde im Grunde ein Gespräch geführt. Ich wollte ursprünglich 2 x 1/2 Jahr nehmen, es gibt im österreichischen Beamtengesetz die Regel 4 Jahre arbeiten und ein Jahr Sabbatical bei 80% Bezahlung. Das erschien mir sehr gut geeignet und ohne große finanzielle Verluste. Die Universität sagte, das Sabbatical kann nur am Stück und nicht verteilt auf 2 halbe Jahre genommen werden und schlug vor 50% Bezahlung bei 50% Arbeit, da habe ich dann aus den 2 Halbjahren 4 gemacht. Dadurch habe ich zwar weniger Geld, aber es hätte für eine Weltumseglung in Abschnitten gut ausgereicht. Es kam dann anders. 2018 habe ich mein Boot in der Karibik verkauft, denn die Organisation für das Boot während der Zeit, in der ich arbeitete war aufwändig und teuer. Es gab eine große Nachfrage in der Karibik nach Katamaranen und ich habe ein sehr gutes Angebot bekommen und verkauft. Die WU war so glaube ich froh, denn budgetär konnte man insgesamt ein wenig sparen. Meine Kolleg*innen halten mich wahrscheinlich eh für ein wenig verrückt. Viele Studenten, denen ich das Vorhaben direkt nach der Vereinbarung mit der WU kommuniziert hatte, fanden das cool und gaben positives Feedback. Gleiches passierte auch als ich im Niemandsland 1 1/2 Monate gefangen war: (ehemalige) Studierende boten Hilfe an, die einzige Mail von einem Kollegen beklagte die vielen Medienberichte und das Bild, dass ich in der Öffentlichkeit abgeben würde - obwohl ich immer kommuniziert habe, dass ich eine 50% Stelle habe und nicht arbeiten müsste. Einige Studierende und Mitarbeiter*innen meinen, dass ich mit der 50% Stelle mehr arbeite als einige Kolleg*innen mit 100% Stellen.
Das kann ich gut nachvollziehen. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, wenn Sie Mediziner sind und forschen, sind Sie unter den Medizinern immer der Forscher und behandeln weniger Patienten; wenn Sie als Forscher aus dem HomeOffice arbeiten (Paper schreiben kann man auch da), dann sind Sie im Labor nicht sichtbar und erwecken dort ebenfalls den Eindruck weniger zu arbeiten, obwohl Sie genau wie Sie sagen, eigentlich vermutlich mehr arbeiten und auch mehr für die Universität leisten.
Es ist immer schwierig wenn man neue Wege geht und die Mischung aus Neid und Misstrauen begegnet denen die das tun wahrscheinlich auf allen Feldern.
Im Grunde genommen sind Sie ja im Kontext des „New Work“ Konzepts, das auf Herrn Bergmann zurückgeht und unter Anderem die Ansätze Dezentrales Arbeiten, Neu-gedachte Arbeitsplätze, selbstständiges Arbeiten und Work-Life Balance in den Fokus rückt sogar Vorreiter an Ihrem Lehrstuhl. Angesichts dessen, dass Sie an einer Wirtschaft-Uni arbeiten sollte so ein Arbeitsmodell doch eher gefördert werden? Prof. Feltes und Mitarbeiter schreiben in Ihrem Buch „Revolution- Ja bitte!“ sogar, dass davon auszugehen ist, dass in Zukunft die Mehrheit der Menschen ähnlich Ihrem Modell arbeiten werden. Woher meinen Sie, kommen die Widerstände?
Grundsätzlich haben viele Menschen die Angst vor dem Neuen. In meinem Fall spielt vielleicht auch ein wenig der Neid eine Rolle und Ich glaube viele Menschen fehlt auch die Fantasie und Neugier, die neben dem Wissen notwendig ist, ihr Leben und ihre Arbeit neu zu gestalten. Viele Führungskräfte haben vielleicht auch Angst vor Kontroll- und Machtverlusten.
Ich glaube übrigens, dass der Neid von anderen Mitarbeitern auch daher kommt, dass viele Menschen selbst ihre Träume nicht verwirklichen weil Ihnen der Mut fehlt und sie daher im Grunde unzufrieden mit sich selbst sind. Jemand wie Sie führt denen das dann unmittelbar vors Auge...
Genau das ist der Grund. Viele sagen mir, „Du hast es gut, Du kannst das machen!“ Dann frage ich immer „warum kannst Du es nicht?“ Die Antworten sind wenig überzeugend. Ich hatte extra gewartet bis meine Kinder studieren, dann kann ich gut aus der Ferne für Sie da sein. Vorher hielt ich dies bezogen auf meine väterlichen Pflichten für nicht vereinbar. Mein Koautor dagegen ist viel jünger und hat alles in Deutschland zurückgelassen, er ist mutiger als ich hat aber auch keine Kinder.
Würden Sie selber ein Arbeitsmodell, wie Sie es verfolgen, jüngeren Wissenschaftler/innen und Doktorand/innen empfehlen oder meinen Sie, man muss eine Zeit „stationär“ gearbeitet haben, um ausreichend Erfahrung für die „mobile Arbeit“ als, wie es genannt wird „Digitaler Nomade“ zu haben?
Ich glaube das ist vor allen Dingen zurzeit noch ein Image Problem. Zumindest bis vor COVID-19 war es wichtig physisch anwesend zu sein, auf viele Konferenzen zu gehen, Kolleg*innen zu treffen, und in persönlichem Gespräch die Netzwerke zu pflegen. Zudem kann man so, wie ich arbeite natürlich auch an der eigenen Universität keine Karriere machen. Auch wenn es sich absurd anhört, so glaube ich, dass es für junge KollegInnen schwieriger ist, zumindest wenn sie einigermaßen klassische universitäre Karriere machen wollen.
Ich sehe das genau wie Sie, dass jüngere ForscherInnen bzw. wissenschaftliche MitarbeiterInnen eher Nachteile haben, wenn sie auf flexible Arbeitszeiten oder dezentrales Arbeiten setzen. Inzwischen gibt es allerdings viele kommerzielle akademische Online Anbieter bspw. von Studiengängen wie Coursera etc. Hier können Sie ebenfalls Abschlüsse oder Zertifikate erlangen, die individuell auf Ihre beruflichen Anforderungen zugeschnitten sind. Zudem gibt es inzwischen eine Vielzahl an nicht universitären, privatwirtschaftlichen Einrichtungen, die Forschung durchführen und hochrangig publizieren. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Ihr Institut schon vor Corona auf Hybrid-Lösungen bestehend aus Webwaren und Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht gesetzt hat. Meinen Sie die klassischen Universitäten können da auf Dauer mithalten? Wird es nicht zudem schwieriger gute MitarbeiterInnen zu finden, wenn man keine NewWork Modelle anbietet?
Ich denke, dass gut aufgestellte Universitäten, wie es z.B. die Wirtschaftsuniversität Wien ist, gut positionierte Institute, wie das von mir geführte Institut und vielleicht auch der individuelle Wissenschaftler sogar Vorteile haben. Es erinnert mich ein wenig an die Angst Fachhochschulen könnten den Universitäten das Wasser abgraben. Gute FHs haben ihre Berechtigung und da gibt es auch welche in meinem Gebiet, aber Sie können wegen der Reputation, den Forschungskapazitäten und letztendlich auch der exzellenten Studierenden, die Universitäten mit guter Reputation attrahieren, nicht mithalten. Ich kann mir trotz des Ärgers und Neids keinen besseren Arbeitsplatz als eine Universität vorstellen und hoffe, es bleibt so. Aber in der Tat müssen die Universitäten sich ändern und das Angebot an die Mitarbeiterinnen vor allem auch in Richtung flexible Arbeit entwickeln. Es ist zwar wie beschrieben nicht einfach, aber ich bin überzeugt, dass das der richtige Weg ist und setze mich deswegen dafür ein. indexiert haben ja da noch gar nicht über den für mich wichtigen Wechseln von der Uni in die Praxis und wieder zurück gesprochen. Ich hatte das Glück diesen aufgrund familiärer Umstände machen zu können und fördere das auch bei WissenschaftlerInnen aber auch bei meinem administrativen Personal.
Wenn Sie wie diese Woche zu einem 6 wöchigen Segeltörn aufbrechen, was nehmen Sie an Arbeitsgegenständen mit? Auf welchen Plattformen arbeiten Sie dann, welche Gadgets nutzen Sie insbesondere auf dem Boot fürs dezentrale Arbeiten?
Eigentlich ganz klassisch und wie von zu Hause:
- Laptop
- mobile Festplatte mit allen Diensten unseres Servers, da ich oft keine oder keine gute Internetverbindung habe
- Handy mit gutem Vertrag und hohem Datenvolumen für lokalen Hotspot
-IPad
Und wenn wir länger nicht in Landnähe sind Satellitentelefon, früher auch immer eine einfache Satellitenbox für langsame Datenübertragung aber diesmal habe ich darauf verzichtet, da müssen die Mails mal 3 Tage liegen bleiben und wenn was ganz Wichtiges ist sieht es mein perfektes Sekretariatsteam (die sehen alle Mails) und könnten sich dann via Satellit melden.
Nutzen Sie besondere Projekt-Software oder Apps, wenn Sie vom Boot aus arbeiten, oder klassisch Word, Excel, PowerPoint und Outlook? Womit machen Sie Ihre Konferenzen?
Wir arbeiten vom Boot im Grunde genommen wie vom Büro. Und verwenden auch bei den Meetings entweder MS Teams, Zoom oder wenn die PartnerInnen ein anderes Programm nutzen, verwende ich auch das. Wenn wir auf See sind und kein gutes Handy Netz haben, kann man über Satelliten kommunizieren, dieses ist aber sehr teuer und was die Datengeschwindigkeit angeht sehr langsam, zumindest wenn man keine Unsummen ausgeben möchte.
Gibt es auf dem Weg zu Ihrem jetzigen Lebensstil Dinge, die Sie im Nachhinein anders machen würden?
Was die großen Entscheidungen angeht würde ich alles genauso machen, also Wahl meines Berufes, Annahme der ersten Professur in Dresden, Gründung der Familie, Wechsel nach Wien. Einen Ruf nach Hamburg habe ich 7 Jahre später abgelehnt, weil meine Frau und die Kinder nicht die Stadt wechseln wollten, aber auch das war sicher die richtige Entscheidung. Vielleicht war ich an der einen oder anderen Stelle zu ehrgeizig, aber das kann ich ja jetzt durch meine 50 % Stelle wiedergutmachen und ich denke auch meine Kinder und die Familie haben darunter nur mäßig gelitten.
Was raten Sie jungen WissenschaftlerInnen, die einen ähnlichen Weg wie Sie gehen möchten?
Der Wettbewerb ist sicher härter geworden aber dafür gibt es mehr Stellen. Wichtig ist vor allem publizieren, publizieren, publizieren und zwar in anerkannten Journals. Ich persönlich würde für meinen Bereich der Transportwirtschaft und Logistik empfehlen auch praktisch zu arbeiten; das machen meine jungen Mitarbeiterinnen, die eine Hochschulkarriere machen wollen ebenfalls so.
Gab es bisher Probleme an der Uni, die Sie nicht vom Boot aus lösen konnten? Wenn ja welche bspw.?
Eigentlich keine konkreten, aber man muss schon ein wenig Energie investieren, wenn man 5 Monate nicht in Wien war, damit man wieder stärker eingebunden wird; sowohl am Institut als auch bei den Praxisprojekten, Vorträgen und Journalisten wobei es 2020 durch die starke Medienberichterstattung einfacher war. Da kannten mich natürlich sehr viele und dachten dann an mich.
Für welche Tätigkeiten oder Situationen ist Ihrer Meinung nach die physische Anwesenheit notwendig und der Online-Präsenz gegenüber überlegen?
Bei uns eigentlich die Lehre. Die kann man nicht nur aus der Ferne machen, aber mit 50/50% ist das eine gute Lösung. Die Projektpartner aus der Praxis wollten - zumindest vor der COVID-19 Krise physische Präsenz.
Viele Menschen, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben oder beides stark miteinander verflochten haben, berichten, dass die Unbeschwertheit des Hobbies, in diesem Falle Segeln, darunter leidet. Können Sie das bestätigen?
Ich würde sagen teilweise. So musste ich die letzten zwei Tage eine Schulung, die ich vom 1.6-4.6. gebe, vorbereiten, aber ich sehe es andersrum, auf dem Boot vorbereiten ist schöner, als zu Hause, nur segeln wäre schöner. Aber ich finde es geht. Mehr Probleme bereitet der Spagat - schnelle Überstellung des Katamarans und gleichzeitige Schulung. Somit muss ich für die Zeit des Seminars die Crew für 5 Tage alleine segeln lassen.
Meinen Sie eigentlich, dass Ihnen Ihre Arbeit auf dem Boot fehlen wird, wenn Sie einmal nicht mehr arbeiten werden?
Ich glaube, dass ich noch lange Arbeiten werde und dann gibt es vielleicht Enkelkinder an Bord. Die würden mir so glaube ich noch mehr Spaß machen als Arbeit!
Herr Kummer, ich Danke Ihnen ganz herzlich für diese tollen Impulse und teils sehr persönlichen Einblicke! Ich wünsche Ihnen alles Gute und Immer eine Handbreit Wasser unter`m Kiel!
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