Lieber Prof. Cursiefen,
Sie sind Direktor des Zentrums für Augenheilkunde der Uniklinik Köln. Seit ca. 5 Jahren gibt es auf dem Universitäts-eigenen YouTube Kanal Videos des Zentrums für Augenheilkunde. Mit großem Erfolg - Die Videos haben teilweise über 100.000 Clicks. Was hat Sie damals dazu bewegt, diese Videos zu erstellen?
Mit den Aufklärungsvideos wollten wir unseren Patienten die Möglichkeit geben, sich sowohl vor als auch nach dem Erstkontakt im Kontext einer Augenoperation genauer zu informieren. Wir haben ja sehr viele Patienten am Zentrum für Augenheilkunde (fast 7.000 stationäre und etwa 50.000 ambulante pro Jahr) und wollen durch diese bessere Vorbereitung und Nachbereitung der Gesprächssituation die Patienteneinbindung verbessern.
Wie sind die Reaktionen der PatientInnen auf die Videos? Werden die Videos auch im klinischen Alltag zur Aufklärung auf der Station genutzt?
Gemessen an den Klickraten ist die Rückmeldung sehr positiv. Es gibt bisweilen auch gute Rückmeldungen von einzelnen Patienten. Inwieweit der Einzelne sich diese Videos tatsächlich anguckt, auf die wir z.T. auch mit Visitenkarten hinweisen, ist im Alltag schwer zu evaluieren. Zur Aufklärung auf Station werden diese Videos aus technischen Gründen noch nicht genutzt, das ist aber für die Zukunft auch geplant.
Im Kontext des Content Marketings werden ja KundInnen gewonnen, indem beratende und informierende Inhalte produziert werden und somit das Vertrauen in die Kompetenzen des eigenen Unternehmens gestärkt wird. Spiegelt sich dies auch in den Patientenzahlen am Zentrum für Augenheilkunde mit den jeweiligen Erkrankungen nach Upload der YouTube Videos wieder? Gerade das Video zum Thema Refraktive Hornhaut-Chirurgie hat über 130.000 Clicks, haben Sie auch dementsprechend viele Anfragen in Ihrer Refraktivsprechstunde?
Die ambulante und stationäre Nachfrage nach Behandlung am Zentrum für Augenheilkunde oder in unserer privatärztlichen Praxis hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Inwieweit dies auf diese Aufklärungsvideos zurückzuführen ist, ist schwer zu sagen.
Warum eignen sich gerade in der Augenheilkunde Videos zu Aufklärungszwecken?
Die Augenheilkunde ist ja ein sehr visuelles Fach mit einem sehr ästhetischen Organ als Behandlungsziel, so dass man dort Vieles auch graphisch gut darstellen kann. Zum Anderen ist die Wertschätzung des Sehens beim Patienten ungemein hoch, die Angst vor der Erblindung ist etwa auf Höhe der Angst, an Tumoren zu erkranken und höher, als alle anderen Krankheitsängste. Insofern ist auch der Aufklärungswunsch und auch der Aufklärungsbedarf bei Patienten mit Augenerkrankungen sehr hoch.
Hinsichtlich der Aufklärung mittels Videos, gibt es hier juristische Fallstricke? Generell ist ja eine individualisierte Patientenaufklärung gefordert.
In der Tat ersetzt das Aufklärungsvideo aktuell noch nicht das individualisierte Patientenaufklärungsgespräch. Die Zukunft soll aber natürlich diese beiden Formate fusionieren.
Gerade in Corona Zeiten hat ja der Einsatz Telemedizinischer Applikationen wahnsinnig zugenommen. Wir sind da Ihre Erfahrungen? Ist Ihrer Meinung nach ein Einsatz solcher Aufklärungsvideos auch mittels Telemedizin denkbar?
Prinzipiell ja, mit den o.g. juristischen Einschränkungen.
Bisher gibt es im Bereich Augenheilkunde nur sehr wenig Telemedizin. In den USA und in Großbritannien werden allerdings zunehmend telemedizinische Verfahren bspw. vom NHS auch in der Augenheilkunde genutzt. Zudem gibt es inzwischen eine Vielzahl an Handy-Tools, um bildgebende Verfahren auch in Regionen, in denen keine klassische augenärztliche Versorgung zur Verfügung steht, anzuwenden. Was sind Ihrer Meinung nach die hauptsächlichen Limitationen bei der Anwendung von Telemedizin in der Augenheilkunde?
Die Hauptlimitation vor Corona war sicherlich die fehlende Affinität zur Technik, das hat sich jetzt in der Pandemie deutlich gebessert. Dennoch ist nicht zu vernachlässigen, dass ein Großteil der betroffenen Patienten sich in einer Altersgruppe befindet, für die der Umgang mit Handyapps etc. noch gewöhnungsbedürftig bzw. völlig außerhalb ihrer Lebensrealität liegt.
In dieselbe Richtung geht das zweite Problem, dass sicherlich auch ein größerer Teil der Patienten noch ein individuelles Patientengespräch wünscht. Das schließt natürlich nicht die Telekonsultation aus, die gerade, wie angesprochen, in ländlichen Räumen sicherlich eine interessante Ergänzung zur persönlichen Betreuung darstellt.
In den USA gibt es inzwischen ebenfalls einen ersten Algorithmus zur automatischen Erkennung der diabetischen Retinopathie mittels Künstlicher Intelligenz. Wo sehen Sie den Einsatz von künstlicher Intelligenz als hilfreich, wo als notwendig, wo als überflüssig?
Ich denke, dass der Einsatz von KI uns ungemein helfen wird, die Präzision unserer augenärztlichen Diagnosestellungen zu verbessern und therapeutische Algorithmen zu entwickeln und damit auch die immer weiter steigende Arbeitsbelastung bei immer kleiner werdender ophthalmologischer „Workforce“ zu reduzieren. Insofern sehe ich den Einsatz von KI gerade im Bereich der Bildanalyse und gerade im Bereich der Augenheilkunde als eine grundsätzlich sehr positve Entwicklung an. Es bleibt natürlich trotzdem schlussendlich die Verantwortung des Augenarztes, alle Befunde in der Summe und auch dann abgestimmt auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten zu interpretieren und daraus Konsequenzen zu ziehen.
Hinsichtlich des Themas Künstliche Intelligenz und Big Data wird immer wieder eine mindestens Deutschland-weite, wenn nicht gar Europa-weite Datenlösung gefordert, um ausreichende Datenpools zu generieren. Wie sollte so etwas Ihrer Meinung nach umgesetzt werden, woran scheitert es momentan?
Wenn wir nicht von der ausländischen Konkurrenz komplett abgehängt werden wollen, wird es nicht zu vermeiden sein, größere Datenpools zu generieren und sich deutschland- und europaweite realistische und natürlich trotzdem patientenschutzgewährleistende Lösungen zu überlegen. Die amerikanische Ophthalmologie ist ja mit dem IRIS-Register vorangegangen, die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft DOG baut im Moment das OREGIS-Register auf, um deutschlandweit Behandlungsergebnisse im großen Stil zu generieren, um auch entsprechend valide Big Data-Analysen durchführen zu können.
Noch eine Frage, die insbesondere junge Wissenschaftler und Ärzte betrifft. Gerade die Generationen X, Y und Z streben immer mehr in Richtung etablierter New Work Modelle wie Teilzeitarbeit, Home Office und Dezentralem Arbeiten. Im letzten Interview haben wir mit Prof. Sebastian Kummer, Leiter der Wirtschaftsuniversität Wien gesprochen. Herr Kummer leitet sein Institut die Hälfte des Jahres dezentral von einem Katamaran aus. Seine Publikationsleistungen und Drittmitteleinwerbungen können sich trotzdem sehen lassen. Glauben Sie, dass so eine Art des Arbeitens in Zukunft auch für in der Klinik und in der Forschung arbeitende ÄrztInnen möglich sein könnte? Was wäre dazu notwendig?
Eine Klinikleitung vom Katamaran aus klingt natürlich sehr verlockend, ich denke aber, dass gerade in Fächern mit der Notwendigkeit des direkten Patientenkontakts und auch der chirurgischen Aktivität wie in der Augenheilkunde das auch mittelfristig noch schwer umzusetzen sein wird. In Fächern wie der Radiologie oder in der Pathologie ist so etwas sicherlich dank KI besser denkbar (und auch schon realisiert). Aber Sie haben völlig Recht, dass wir natürlich flexiblere Lösungen der Arbeitszeitregulation für die Generation XYZ brauchen. Aber auch in der Forschung ist es natürlich so, dass Laborforschung sich nicht von Zuhause aus realisieren lässt. Das haben wir ja kürzlich in der Coronapandemie wieder gelernt. Insofern wird es im Bereich der Medizin und damit auch der Augenheilkunde (ich denke, dafür war die Coronapandemie ein gutes Beispiel, als große Teile der Arbeitswelt ins Homeoffice verlagert wurden, wir aber im Prinzip genauso wie vorher, weitergearbeitet haben) noch länger dauern, bis sich solche radikalen Wechsel realisieren lassen. Außerdem sind wir ja alle auch Ärzte geworden, nicht um im Homeoffice zu sitzen, sondern im direkten Patientenkontakt diesen zu helfen.
Letzte Frage: Sie sind weltweit bekannt dafür, Visionär in der Augenheilkunde, insbesondere hinsichtlich bildgebender Verfahren zu sein. Wo sehen Sie die Augenheilkunde in 20 Jahren, wie arbeiten Wissenschaftler in der Augenheilkunde, wie Augenärzte? Welchen Stellenwert haben Bildgebung und AI?
Das ist ein weites Feld. Bezogen auf meine Generation wird die Augenheilkunde ganz sicherlich weiblicher, teilzeitarbeitender und flexibel demokratischer aufgestellt sein, als wir das noch kennengelernt haben. Ganz sicherlich wird Künstliche Intelligenz und die Optimierung der Bilddatenerhebung und Auswertung unseren Arbeitsablauf erheblich beeinflussen und dadurch unsere Diagnose- und Therapieschärfe und das Therapiemonitoring verbessern. Die Arbeitsmodelle werden sicherlich flexibler werden, aber, ich denke, dass wir trotzdem weiterhin den engen Arzt-Patient-Kontakt im direkten analogen Verhältnis nicht nur in der Beratung, sondern natürlich auch in der operativen Behandlung behalten werden und uns deshalb nicht so dramatische Umwälzungen bevorstehen, wie in anderen Fächern im Bereich der Medizin. Was die Forschung angeht, ist die Augenheilkunde im Moment in einer wahrlich spektakulären Phase neuer Entwicklungen in vielen Bereichen, die wir dazu nutzen sollten, die immer noch vorhandenen zahlreichen unmet needs in der Behandlung unserer Patienten zu reduzieren. Deshalb plädiert ja die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft auch für die Etablierung eines Deutschen Zentrums für Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Augenheilkunde, um unseren Patienten, den wir bisher noch nicht gut helfen können, in Zukunft bessere Diagnose und Therapiemöglichkeiten anbieten zu können. Es ist also gerade für die jüngeren Kollegen und Studentinnen ein idealer Zeitpunkt, sich für die Augenheilkunde zu entscheiden.
Vielen herzlichen Dank für die spannenden Ein- und Ausblicke!
Kontakt:
Chefsekretariat des Zentrums für Augenheilkunde der Uniklinik Köln
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