Digitale Transformation an der Uniklinik - Münster macht's vor!

Als Zuweiserkliniken agieren Unikliniken meistens als Bindeglieder zwischen ambulanter und klinischer Patientenversorgung. Dies impliziert, dass sie eine große Menge an Patientenkontakten haben. Sie gelten dabei als Kompetenzzentren, an denen besonders herausfordernde Krankheitsbilder behandelt werden. Aufgrund der großen Zahl an externen Zuweisern, ist darüber hinaus eine optimale Kommunikation zwischen Unikliniken, PatientInnen und Zuweisern notwendig. Darüber hinaus müssen Unikliniken noch einem Lehr- und Forschungsauftrag nachkommen, was sie vor große Herausforderungen stellt. Wie die digitale Transformation der Augenheilkunde hier helfen kann, schildern Lea Holtrup und Univ.-Prof. Dr. med. Nicole Eter in einem Übersichtsartikel zu Digitalisierungsprojekten an der Uni-Augenklinik Münster.

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Autorinnen: Lea Holtrup, Prof. Dr. med. Nicole Eter

Die Universitäts-Augenklinik Münster ist bereits seit einigen Jahren in vielen Bereichen digital aufgestellt. Neben dem allgemeinen Krankenhausinformationssystem Orbis, welches am Universitätsklinikum Münster (UKM) verwendet wird, wurde unter der Leitung von Frau Univ.-Prof. Dr. med. Nicole Eter 2013 FIDUS als Subsystem für die Augenheilkunde zur digitalen Behandlungsdokumentation eingeführt. Von der Erfassung der Patienten bei Eintritt in die Klinik über die Dokumentation der Diagnosen und Behandlungen bis zur Terminplanung können alle Schritte im System erfasst und der gesamte Aufenthalte des Patienten in der Klinik nachvollzogen werden. Auch die Daten der bildgebenden Untersuchungsverfahren werden automatisiert an Server übermittelt, sodass eine vollständige Betrachtung der Patientendaten von nahezu allen Arbeitsplätzen ermöglicht wird. Die digitale Erfassung der Behandlungsdaten ermöglicht eine Vereinfachung der Arbeitsabläufe und schafft zusätzlich die Möglichkeit die Daten für Forschungszwecke und Prozessoptimierungen auszuwerten.

Neben dem Subsystem FIDUS zur Dokumentation der Untersuchungen wurde darauf aufbauend das UKM EyeNet programmiert. Die Online-Plattform für Kliniken und Praxen ermöglicht einen datenschutzkonformen Austausch aktueller Patientendaten sowie eine Online-Terminvergabe über eine eigene VPN-Leitung. Bei einer Überweisung des Patienten in die Universitäts‑Augenklinik kann die entsendende Klinik oder Praxis im Vorfeld relevante Patientendaten übermitteln, sowie Befunde und Bildmaterial nach der Vorstellung des Patienten erhalten. Es ist ebenfalls möglich Terminanfragen zu stellen und verschlüsselte Nachrichten zu senden.

Ein Voranschreiten der Digitalisierung konnte nicht nur im Klinikbetrieb, sondern auch durch zahlreiche Forschungsprojekte mit Bezug zur Digitalisierung forciert werden. In Kooperationsprojekten, unter anderem mit Herrn Univ.-Prof. Dr. med. Julian Varghese vom Institut für Medizinische Informatik der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, Herrn Jun.-Prof. Dr. Benjamin Risse vom Institut für Informatik der WWU Münster und Herrn Prof. Dr. Arnim Malcherek vom Fachbereich Informatik der Hochschule Darmstadt, stehen vor allem Bildanalysen mittels Künstlicher Intelligenz im Fokus der gemeinsamen Forschung. Eine perfekte Synergie bilden dabei das Vorhandensein großer Mengen an Bilddaten in der Augenheilkunde und das Fachwissen der Informatik-Experten zur Analyse der Daten mit Hilfe von Machine Learning. In den bestehenden Kooperationen werden klinisch relevante Fragestellung adressiert und mit den jeweiligen Partnern im Rahmen von Master- oder Semesterarbeiten gelöst.

Die telemedizinische Vernetzung ist zudem Fokus eines großen Verbundprojektes mit der Universitäts-Augenklinik Münster als Konsortialführung. Im Innovationsfondsprojekt SALUS soll die Behandlung von Glaukom-Patienten durch Selbsttonometrie und telemedizinische Vernetzung der Kliniken, Praxen und Patienten verbessert werden. Im Gegensatz zur Regelversorgung, bei der für ein Tages-Tensio-Profil zur Überprüfung der Augeninnendruckwerte ein stationärer Klinikaufenthalt notwendig ist, kann der Patient bei der in der Studie untersuchten neuen, ambulanten Versorgungsform den Augeninnendruck eigenständig und in seiner häuslichen Umgebung messen. Zusätzlich wurde eine elektronische Fallakte konzipiert, in der alle Daten der Studie einfließen und für die jeweils beteiligten Akteure einsehbar sind. Zur Qualitätssicherung der Daten besteht zusätzlich ein Reading Center-Team aus mehreren Ärzten, die in einem standardisierten Prozess die klinischen Daten analysieren.

Ein derartiges Reading Center zur standardisierten und systematischen Analyse digitaler Bildgebungen für wissenschaftliche ophthalmologische Studien bestand schon vor dem SALUS-Projekt an der Universitäts-Augenklinik. An der Konzeption der IT-Plattform waren federführend der Lehrstuhl für Medizinische Informatik und die IT-Abteilung der Medizinischen Fakultät der WWU beteiligt. Ein Team aus Ärzten und Wissenschaftlern der Augenklinik steht mit einem großen Erfahrungsschatz in klinischen Studien und in der Anwendung zahlreicher ophthalmologischer Bildgebungsverfahren für die Beurteilung der Daten zur Verfügung. Akquisition und Analyse der Bilddaten werden dabei nach internationalen studienspezifischen Protokollen durchgeführt. Die «Standard Operating Procedures» wurden nach den Vorgaben des EVICR-Netzwerks und der «Good Clinical Practice» erstellt. Das UKM Reading Center ist zusätzlich seit 2017 nach DIN ISO 9001-2015 zertifiziert.

In Zusammenarbeit mit der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft startete in 2018 die Pilotphase von oregis. Oregis ist das Projekt eines bundesweiten digitalen Registers für die Augenheilkunde, welches die Möglichkeit einer fundierten Versorgungsforschung ermöglicht (Abb. 1). Durch den Anschluss von Praxen und Kliniken an oregis werden anonymisierte Behandlungsfalldaten zentral in einer Datenbank zusammengefasst und für Forschungszwecke verfügbar gemacht. Ziel ist es, möglichst viele Einrichtungen in Deutschland an das Register anzuschließen, um valide Aussagen zur realen Versorgung in Deutschland treffen zu können. Es gibt dabei verschiedene Möglichkeiten, die Daten an das Register zu übermitteln. Die einfachste Variante bietet die Übertragung mittels Konnektor-Modulen, welche automatisch die Daten aus den Praxis- bzw. Klinikinformationssystemen an oregis übermitteln. Es ist ebenfalls möglich über das Hochladen gängiger Dateiformate wie CSV-Dateien oder sogar über eine manuelle Eingabe das Register zu speisen. Letzteres ist vor allem in Kliniken mit noch bestehenden Papierakten relevant. Zur Wahrung der Datensicherheit wurde für das Register in Abstimmung mit der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) e.V. ein detailliertes Datenschutzkonzept entwickelt, welches dem Gebot der informationellen Gewaltenteilung entspricht.

 

OREGIS

 

Abbildung 1: Internetauftritt des oregis Registers der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft.

 

Neben der Digitalisierung in der Patientenversorgung und Forschung wurde auch das Lehrkonzept der Universitäts-Augenklinik in den letzten Jahren überarbeitet und durch Online-Lerninhalte ergänzt. Das „Flipped Classroom“ Konzept wurde bereits vor der Corona-Pandemie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ausbildung und Studium (IfAS) der Medizinischen Fakultät der Universität Münster erarbeitet und erleichterte dadurch die Umstellung zum Distanz-Studium deutlich. Das Lehrkonzept besteht aus einem Anteil Selbststudium, der online absolviert wird, und einem Präsenzteil, der auf den Lehrinhalten des Selbststudiums aufbaut. Vorteile dieses Konzeptes bestehen in der einheitlichen Wissensbasis, die durch das Selbststudium geschaffen wird und die anschließend in den gemeinsamen praktischen Übungen angewendet und vertieft werden kann.

Zusätzlich führt die Augenklinik seit der Corona-Pandemie ihre Fortbildungsveranstaltungen virtuell durch und plant in Zukunft, Veranstaltungen in hybrider Form durchzuführen. Die bundesweite Erreichbarkeit durch die Online-Fortbildungen soll weiterhin erhalten bleiben und durch eine Kombination mit einer Präsenzveranstaltung lässt sich zukünftig auch wieder ein persönlicher Austausch ermöglichen.

 

Kontakt und weiterführende Informationen:

Klinik für Augenheilkunde, Uniklinikum Münster

UKM EyeNet

AG Big Data, Versorgungsforschung, künstliche Intelligenz

OREGIS

 

Weiterführende Literatur:

UKM EyeNet:

Czapski, P et al. “FIDUSweb in der Version 2.0 : Möglichkeiten einer elektronischen Plattform zur Etablierung eines kooperativen, universitären Augennetzwerks” [FIDUSweb version 2.0 : An electronic platform to establish a cooperative university eye network]. Der Ophthalmologe : Zeitschrift der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft vol. 117,7 (2020): 677-686. doi:10.1007/s00347-019-00993-7

 

Forschungsprojekte mit KI:

Diener, R et al. “Diagnostik von Erkrankungen des Sehnervenkopfes in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Big Data” [Diagnostics of diseases of the optic nerve head in times of artificial intelligence and big data]. Der Ophthalmologe : Zeitschrift der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, 1–6. 22 Apr. 2021, doi:10.1007/s00347-021-01385-6

Treder, M et al. “Künstliche Intelligenz zum Management von Makulaödemen : Chancen und Herausforderungen” [Artificial intelligence in management of macular edema : Opportunities and challenges]. Der Ophthalmologe : Zeitschrift der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft vol. 117,10 (2020): 989-992. doi:10.1007/s00347-020-01110-9

Treder, Maximilian et al. “Using Deep Learning in Automated Detection of Graft Detachment in Descemet Membrane Endothelial Keratoplasty: A Pilot Study.” Cornea vol. 38,2 (2019): 157-161. doi:10.1097/ICO.0000000000001776

Treder, Maximilian et al. “Deep learning-based detection and classification of geographic atrophy using a deep convolutional neural network classifier.” Graefe's archive for clinical and experimental ophthalmology = Albrecht von Graefes Archiv fur klinische und experimentelle Ophthalmologie vol. 256,11 (2018): 2053-2060. doi:10.1007/s00417-018-4098-2

Treder, Maximilian et al. “Automated detection of exudative age-related macular degeneration in spectral domain optical coherence tomography using deep learning.” Graefe's archive for clinical and experimental ophthalmology = Albrecht von Graefes Archiv fur klinische und experimentelle Ophthalmologie vol. 256,2 (2018): 259-265. doi:10.1007/s00417-017-3850-3

 

Reading Center:

Bruland, Philipp et al. “Integrating x4T-EDC into an Image-Portal to Establish an Ophthalmic Reading Center.” Studies in health technology and informatics vol. 245 (2017): 1254.

 

Flipped Classroom:

Lauermann, J L et al. „Flipped classroom“ – Ein Zukunftskonzept für die studentische Lehre in der Augenheilkunde?” ["Flipped classroom"-A future concept for student teaching in ophthalmology?]. Der Ophthalmologe : Zeitschrift der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft vol. 118,7 (2021): 691-696. doi:10.1007/s00347-020-01225-z

Grabowski, E et al. “Analyse des Stellenwertes von „eLearning“ in der Augenheilkunde und Evaluierung einer „eLearning-App“” [Analysis of the importance of e-learning in ophthalmology and evaluation of an e-learning app]. Der Ophthalmologe : Zeitschrift der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft vol. 117,12 (2020): 1218-1224. doi:10.1007/s00347-020-01100-x


 

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Publikationen

  1. Descemet Membrane Endothelial Keratoplasty in Vascularized Eyes: Outcome and Effect on Corneal Neovascularization. Hayashi T, Zhang W, Hos D, Schrittenlocher S, Nhat Hung Le V, Siebelmann S, Matthaei M, Bock F, Bachmann B, Cursiefen C. Cornea. 2021 Jun 1;40(6):685-689. doi: 10.1097/ICO.0000000000002502. PMID: 33252385.
  2. Präkonditionierung von vaskularisierten Hochrisikoaugen mittels Feinnadeldiathermie und Crosslinking. Matthaei M, Hos D, Bock F, Le VNH, Hou Y, Schaub F, Siebelmann S, Zhang W, Roters S, Bachmann BO, Cursiefen C. Ophthalmologe. 2021 May 7. German. doi: 10.1007/s00347-021-01415-3. Epub ahead of print. PMID: 33961088.
  3. Comparison of Mini-DMEK versus predescemetal sutures as treatment of acute hydrops in keratoconus. Händel A, Siebelmann S, Hoz D, Ögrünc F, Matthaei M, Cursiefen C, Bachmann B.  Acta Ophthalmol. 2021 May 4. doi: 10.1111/aos.14835. Epub ahead of print. PMID: 33942986.